Von Monreal nach Tiebas

Montag, 15. August 2016

Heute, so dachte ich mir das jedenfalls, während ich Monreal hinter mir ließ, würde ich bis Eunate kommen, und dort würde es sicher ein Fleckchen im Feld geben, vielleicht sogar einen Haufen weiches Stroh, wo ich noch einmal unterm Sternenhimmel übernachten wollte, bevor der Camino Aragonés in Puente la Reina zu Ende war und in den Weg mündete, der von Roncesvalles her kam. Mit dem zu erwartenden Rummel auf diesem Hauptweg wollte ich so wenig wie möglich in Berührung kommen. Deshalb hatte ich vor, morgen einen Bus nach Nájera zu nehmen und von dort aus in südwestlicher Richtung wieder in die Einsamkeit der Berge hinaus zu wandern. Nun, es ist dann an diesem und auch am nächsten Tag doch ein bisschen anders gekommen als geplant, aber man hat ja zum Glück als Pilger die Freiheit, nicht stur an jedem Plan festhalten zu müssen!

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Der schmale, steinige Fußpfad führte am Hang der Sierra entlang, in stetigem Auf und Ab. So ein Steig macht mir normalerweise Freude. Wenn er durch einsame Landschaften führt, wenn er dem Fußgänger Gegenden erschließt, die sonst nicht erreicht werden können… Aber hier war es anders. Ganz in der Nähe, unten im Tal, verlief die Straße. Eine ganz leere, gerade, breite Straße, und gleich daneben war ein Kanal, der „Canal de Navarra“, und daran entlang ein Weg am Wasser. Welcher Pilger vergangener Jahrhunderte wäre auf die Idee gekommen, sich hier heroben abzumühen? Verlief nicht der Pilgerweg genau deswegen in den Tälern, um den Pilgern ein rasches und einfaches Fortkommen zu ermöglichen? Was zum Teufel hatten sich die Leute gedacht, die diesen zwar durchaus reizvollen, aber ausgesprochen unkomfortablen Pfad hier angelegt und markiert hatten? Vermutlich hatten sie es nur gut gemeint, Asphalt ist ja bekanntlich kein Freund der Pilger. Aber jetzt gerade glich das Klima in meinen Wanderstiefeln dem in einer Sauna, und mein linker Fuß schien heute beträchtlich an Volumen zugelegt zu haben. Obwohl die Schuhe eineinhalb Nummern zu groß waren, konnte ich kaum noch die Zehen bewegen. Außerdem hätte ich sehr gerne einen Kaffee getrunken, denn in Monreal war heute Morgen noch alles geschlossen gewesen. Aber die Dörfer, deren Rand mein Weg berührte, Járnoz, Otano, machten nicht den Eindruck, als gäbe es dort eine gastliche Bar, um mein Gelüst zu befriedigen. Während ich leicht frustriert über Stock und Stein stolperte, schielte ich immer wieder hinunter auf die schöne ebene Straße, und in Ezperun gab ich auf. Ich wechselte hinunter, riss mir die Stiefel von den Füßen und schlüpfte in die Sandalen. Ja, nun ging es gleich deutlich besser voran!

Auf der Straße kam mir ein Wanderer entgegen, ich sah ihn schon von Weitem. Ein Pilger auf dem Rückweg! Es war ein älterer Mann, der sich als José vorstellte. Er war wohl ein Dauerpilger und kannte sich gut aus auf den Caminos, auf denen er sich durchschlug, weil ihm das Leben ein anderes Glück versagt hatte. Solange es noch ginge, meinte er. Und lang würde es nicht mehr gehen bei seiner schlechten Gesundheit. Als ich erwähnte, dass ich nach Valvanera wolle, glänzten seine Augen. „Frag dort nach Padre Jesús und sag, dass du kein Geld hast – der hat mir ein schönes Zimmer gegeben, mit Dusche, und Essen umsonst!“ Beim Abschied nahm José meine Hand und küsste sie.

Mit frischer Luft zwischen den Zehen erreichte ich schnell den Ortsanfang von Tiebas. Rechts erhob sich eine Burgruine, links eine enorme kahle Lücke im Berg – der Steinbruch „Canteras de Alaiz“, und auf einem Freizeitplatz mit Kinderspielzeug, einem Brunnen und schattenspendenden Bäumen ließ ich mich erst einmal zu einer Rast nieder und machte Brotzeit, denn es war inzwischen Mittag und – natürlich – wieder glühend heiß. Dreizehn Kilometer waren es nur noch bis Eunate, da konnte ich mir Zeit lassen. Ausgeruht spazierte ich ein Stündchen später durchs Dorf und betrat die Bar, ein Kaffee war nun genau recht. In der Bar fand ich – Bea und Carmen. Sie hatten sich gerade ein Mittagessen bestellt und ihre heutige Etappe schon beendet. Nach einer Weile gesellte sich ein Mann mit einem dünnen grauen Pferdeschwanz und wenigen Zähnen zu uns, er war der Betreuer der Pilgerherberge. „Bist du sicher, dass du heute weitergehen willst?“ fragte er mich. „Es ist gefährlich bei der Hitze! Ich will dich nicht überreden – aber man soll den Teufel nicht versuchen!“ Nun – die Hitze hatte ich in den letzten Tagen auch schon überlebt. Aber so ein halber Ruhetag – vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Eine ruhige, gut ausgestattete Herberge, zwei nette Gefährtinnen, mein geschwollener Fuß, und – es gab hier ein Schwimmbad! „Ich überleg´s mir“, sagte ich.

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Ich blieb. Bea und Carmen legten sich in der Herberge zu einem Mittagsschläfchen hin und ich genoss meine Siesta im öffentlichen Freibad, das ich ganz für mich allein hatte. Die Dorfbewohner waren auf einer Fiesta, erklärten mir die beiden jungen Männer, die hier ihre Arbeitszeit verdösten. Klar, heute war der 15. August, Maria Himmelfahrt! Einmal stand einer auf und fegte ein paar Blätter von den Steinplatten. Später am Nachmittag vertrieb mich ein Wind, der sich innerhalb weniger Minuten zu einem veritablen Sturm auswuchs. Meine Mitpilgerinnen hatten schon die Wäsche von der Leine gerettet. Der Sturm verzog sich ebenso schnell wie er gekommen war und hinterließ eine leichte, angenehme Abkühlung und ein paar bewegte Wolkengebilde am Himmel. Seit wie vielen Tagen hatte ich das schon nicht mehr erlebt – richtige Wolken!

Ich machte einen Rundgang durchs Dorf. Die Kirche aus dem 14. Jahrhundert mit dem breiten Glockenturm war leider geschlossen, aber durch die Rundbögen des überdachten Arkadengangs hatte man herrliche Ausblicke ins Land. Dieses Tiebas schien nicht zu den ganz armen Gemeinden zu gehören. Neben historischen, weiß verputzten Herrenhäusern gab es neuere Gebäude, die moderne Bar und Reihen von biederen, geraniengeschmückten Einfamilienhäuschen, und die Gemeindeherberge ließ es an nichts fehlen – es gab eine gut ausgestattete Küche mit einem Schrank voller Lebensmittelkonserven, mehrere Getränke- und Kaffeeautomaten, sogar die Stühle waren eine Sonderanfertigung und trugen den eingefrästen Schriftzug „Tiebas“, und die Tür ließ sich mithilfe eines Zahlencodes öffnen. Vielleicht brachte ja der Steinbruch, in dem hauptsächlich Kalkstein zu Betonherstellung abgebaut wurde, etwas an Steuergeldern ein, oder der Ort profitierte von der Nähe zu Pamplona, dreizehn Kilometer waren es bis dorthin und es gab eine Autobahnzufahrt – von den Pilgern wurde die Gemeinde sicher nicht reich. Wir blieben heute zu dritt.

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Der Hospitalero versorgte uns mit frischen Zutaten zu einem Salat. Kurz vor neun hatte ich noch Lust auf ein Glas Wein, ich kam gerade noch rechtzeitig, denn in der Bar wurden schon die Stühle auf die Tische gestellt und ausgefegt. Landleben in Spanien… Nun schlief ich also heute doch nicht im Stroh, und Eunate und das Ende des „Camino Aragonés“ hatte ich auch nicht erreicht, aber so war es auch gut.

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